Samsung Gear VR im Test: Virtuelle Realität mit Kompromissen und Zwangspausen

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Andreas Schnäpp
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Ersteindruck

Im Vergleich zur Ersteinrichtung des Development Kit 2 von Oculus VR erweist sich Samsungs Gear VR als „Plug & Play“-Kinderspiel. Vorausgesetzt die Oculus App wurde installiert, ist das Abtauchen in virtuelle Welten nur wenige Handgriffe entfernt. Den sicheren Halt auf dem Kopf des Nutzers garantieren zwei abnehmbare, elastische Klettverschlussbänder, die am Hinterkopf und Stirn mit Kunststoff verstärkt und zudem leicht gepolstert sind. Die Polsterung der Auflagefläche rund um den Sichtbereich fühlt sich etwas fester als beim DK2-Pendant an, was jedoch in Kombination mit dem strafferen Zug der Haltebänder dafür sorgt, dass die VR-Brille selbst bei schnellen Kopfbewegungen nicht verrutschen kann.

Das Gear VR in Einzelteilen: VR-Halterung, Galaxy Note 4 und durchsichtige Frontblende
Das Gear VR in Einzelteilen: VR-Halterung, Galaxy Note 4 und durchsichtige Frontblende

Beim Einlegen des Galaxy Note 4 in die VR-Halterung, wobei das Smartphone mit dem microUSB-Anschluss der VR-Brille verbunden wird, signalisiert ein akustisches Signal, dass das Gerät sich nun im VR-Modus befindet. Die durchsichtige Frontblende des Gear VR dient dabei ausschließlich ästhetischen Zwecken und wird nur lose auf die Kontaktpunkte aufgesteckt. Ein neben der rechten Linse versteckter Näherungssensor erkennt, sobald ein Nutzer die VR-Brille aufgesetzt hat und startet daraufhin automatisch die „Oculus Home“-App, die als zentrale Anlaufstelle dient.

Oculus Home

Im Gegensatz zum DK2 ist eine softwareseitige Anpassung der Werte für den Augenabstand (IPD) nicht möglich. Das Gear VR deckt einen Bereich von 55 bis 71 mm Augenabstand ab, wodurch es bei Nutzern, die sich an den Extrema dieser beiden Pole wiederfinden zu Problemen bei der VR-Wahrnehmung kommen könnte. Der Abstand der beiden Linsen zueinander ist fest, Nutzer haben jedoch mittels eines an der Oberseite des Gear VR angebrachten Drehreglers die Möglichkeit die Distanz zwischen Linsen und Display zu verringern oder zu vergrößern. Dieser Drehregler ist für kurz- sowie weitsichtige Nutzer notwendig, um eine scharfe Darstellung zu ermöglichen. In puncto Bedienkomfort ist die Gear VR ihrem kabelgebundenen, indirekten Vorgänger damit weit voraus: Ein unabsichtliches Verstellen des Drehreglers beim Ab- oder Aufsetzen der Gear VR ist nahezu ausgeschlossen und innerhalb weniger Sekunden lässt sich die VR-Brille so problemlos an die Bedürfnisse unterschiedlicher Anwender anpassen.

Die VR-Brillen im Größenvergleich: Oculus Rift DK2 (links) vs. Samsung Gear VR (rechts)

Das Gear VR ist kompakter als sein kabelgebundenes PC-Pendant, die Oculus Rift. Dennoch bringt das Gear VR mit eingelegtem Galaxy Note 4 wenige Gramm mehr auf die Waage: Den 472 Gramm des DK2 stehen 554 Gramm des Gear VR gegenüber, was neben dem Eigengewicht des Smartphones mit knapp 176 Gramm unter anderem den deutlich verbesserten Haltebändern geschuldet sein dürfte.

Im Lieferumfang befindet sich neben einer microSD-Karte mit VR-Inhalten zudem ein runder Tragekoffer, der zwar einerseits einen sicheren Transport für den mobilen VR-Einsatz gewährleistet, jedoch zugleich auch dafür verantwortlich ist, dass die Linsen leicht beschlagen: Während das DK2 aufgrund der kabelgebundenen Konstruktion bei Nicht-Benutzung auf dem Tisch verweilt, hat die Aufbewahrung im Tragekoffer des Gear VR zur Folge, dass die Linsen sich vor jedem Gebrauch erst an die Raumtemperatur akklimatisieren müssen. Ansonsten führt der Temperaturunterschied zwischen Nutzer und VR-Brille zwangsläufig innerhalb der ersten 15 Minuten zu beschlagenen Linsen.

Die Displayauflösung von 1.280 × 1.440 Bildpunkten pro Auge wirkt sich spürbar positiv auf die Bildqualität aus: Im Vergleich zum DK2 der Oculus Rift lassen sich beispielsweise Textbeschreibungen deutlich einfacher lesen. Der Fliegengittereffekt (engl.: „screen-door-effect“) tritt zwar nach wie vor auf, doch ist er selbst bei stillen Szenen signifikant weniger auffällig als noch im Development Kit 2 von Oculus. Der von Michael E. Blix entwickelte „Oculus Rift Simulator“ vermittelt ein grobes Gefühl dafür, wie sich unterschiedliche Auflösungen in VR-Anwendungen auswirken. Die VR-Forschung geht davon aus, dass der Fliegengittereffekt erst ab Auflösungen von 4K und höher (pro Auge) nicht mehr wahrgenommen wird.

Im Testbericht zum Oculus Rift DK2 ging ComputerBase auf die theoretischen Unterschiede der aktuell erhältlichen „Mobile VR“-Konzepte ein. Neben dem geschlossenen App-Ökosystem trumpft das Gear VR mit zusätzlichen Sensoren für das Head-Tracking auf, auf die „Do-It-Yourself“-Lösungen wie Google Cardboard und andere VR-Halterungen für Smartphones verzichten müssen. Infolgedessen muss sich Samsungs VR-Brille in Sachen Head-Tracking nicht vor dem kabelgebundenen großen Bruder verstecken: Selbst hektische Kopfbewegungen werden ohne wahrnehmbare Verzögerung in entsprechende VR-Bewegungen umgesetzt und lassen trotz der für VR-Anwendungen niedrigen Bildwiederholrate von 60 Hz keinerlei Beschwerden aufkommen. Von „Simulator Sickness“ war während des kompletten Testzeitraums, auch bei mehrstündiger Nutzung am Stück, keine Spur.

Gear VR Warnmeldung bei erreichtem Hitzelimit
Gear VR Warnmeldung bei erreichtem Hitzelimit

Das bedeutet jedoch nicht, dass es unmöglich ist, VR-induzierte Übelkeit mit dem Gear VR auszulösen. Wenn der Nutzer es darauf anlegt, kann er bei Nichtbeachtung der eingeblendeten Warnhinweise dafür sorgen, dass ihm oder ihr ordentlich schlecht wird. Jedoch zählt dazu eine gewisse Prise unbelehrbarer Eigeninitiative: Je nachdem welche VR-Anwendung gerade ausgeführt wird, greift die Hitzelimitierung des Smartphones unterschiedlich schnell.

Während relativ „ruhige“ VR-Erlebnisse wie VR-Kino stundenweise genossen werden können, meldet sich das Smartphone bei aufwendigeren VR-Apps wie dem hervorragenden Cyberpunk-Hacking-Spiel Darknet schon innerhalb von 20 bis 35 Minuten mit einer Hitzewarnung zu Wort. Im Fall von Darknet ist an dieser Stelle eine Zwangspause notwendig, damit das Galaxy Note 4 wieder herunterkühlen kann – andere Titel überlassen dem Spieler einfach die Wahl, die Warnmeldung zu ignorieren und weiterzuspielen. Dies führt dazu, dass die VR-Anwendung aufgrund gedrosselter CPU und GPU nicht mehr mit ausreichender Performance läuft, was sich unter anderem in „Rucklern“, dem Nachhinken der VR-Darstellung bei Kopfbewegungen sowie deutlich wahrnehmbaren Bildartefakten wie „Judder“ manifestiert und auf direktem Weg zur Übelkeit führt.

Laut John Carmack (GDC 2015 Vortrag bei twitch.tv: ab Minute 24) ist das Problem der beschlagenden Linsen des Gear VR dem Hersteller bekannt, die überarbeitete Gear VR Version für das im April erscheinende Galaxy S6 und S6 Edge wurde dementsprechend um einen aktiven Kühler ergänzt, sodass zumindest dieses Problem zukünftigen Produktversionen erspart bleibt. Carmacks Einschätzung, inwiefern der Kühler bei der Hitzelimitierung von Nutzen sein könnte, blieb zurückhaltend: „Vielleicht hilft es ein kleines bisschen mit der Kühlung des Smartphones“, aber der größte Vorteil der nächsten Gear-VR-Version liegt in der geringeren Größe des Smartphones, wodurch es über etwas weniger „thermisch wirksame Masse“ verfügt. Die Ergänzung um einen weiteren USB-Anschluss wirke sich zudem günstig auf die Hitzeentwicklung des im Smartphone verbauten Akkus aus: So reiche die USB-Verbindung zwar nicht aus, um den Akku während der VR-Nutzung aufzuladen, jedoch sinke dadurch immerhin die thermische Belastung der Akkuzellen, wodurch längere VR-Sitzungen möglich sein sollen.

Oculus Cinema
Oculus Cinema

Bei der aktuell erhältlichen Gear-VR-Version befindet sich das Galaxy Note 4 dauerhaft im USB-Host-Modus, um die Sensoren der VR-Brille ansprechen zu können. Bedingt dadurch verbraucht das Smartphone nicht nur für die Darstellung der VR-Inhalte Energie, sondern belastet aufgrund der Gear-VR-Sensoren den Akku noch zusätzlich. Je nach VR-Anwendung entspricht das ca. 20 bis 30 Prozent Akkuladung pro Stunde aktiver VR-Nutzung. Einen eineinhalb stündigen Film im VR-Kino mittels der Oculus-Cinema-App anzuschauen, ließ die Akkuanzeige des Smartphones (bei gewählter Helligkeitsstufe 7/10) um ca. 33 Prozent schrumpfen.

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