Analyse: Koalitionsvertrag ohne zündende Idee

Andreas Frischholz
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Analyse: Koalitionsvertrag ohne zündende Idee

Nun steht er also, der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Die Parteien behandeln praktisch alle umstrittenen Themen wie der Breitbandausbau, das NetzDG oder den Staatstrojaner. Doch im Kern handelt es sich um eine Ansammlung von einzelnen Projekten. Die große Idee für das digitale Zeitalter fehlt.

Kein großer Wurf

Mehr als vier Monate hat es gedauert, bis die Grundlage für eine neue Bundesregierung steht. Noch müssen zwar die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag (PDF) zustimmen, doch auch so liefert das Werk bereits einen Ausblick auf die Digitalpolitik der kommenden Jahre. Der große Wurf ist es wie erwartet nicht geworden, es existiert keine übergeordnete Idee, unter der sich einzelne Projekte zusammenfassen lassen. Stattdessen machen CDU/CSU und SPD da weiter, wo sie mit der Digitalen Agenda im Jahr 2013 angefangen haben. Es sind viele kleine Projekte, die sich mit dem befassen, was gerade so ansteht. Digitalisierung liest sich in diesem Kontext nicht als Chance, sondern eher etwas, das nun halt da ist und mit dem man irgendwie klarkommen muss. Ambitioniert ist anders.

Vieles bleibt beim Alten

Schon ein Blick auf einzelne Themen, die die netzpolitische Debatte seit Jahren bestimmen, verrät: Strategisch verändert sich wenig, stattdessen regiert ein „weiter so“.

NetzDG: Wie man soziale Netzwerke kontrolliert

Wenig Neues gibt es beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Als es Anfang des Jahres in Kraft trat, passierte genau das, was Kritiker befürchtet hatten: Dem Hass in sozialen Netzwerken hat es kein Einhalt geboten, stattdessen löschten die sozialen Netzwerke wie Facebok und Twitter auch Beiträge von Satirikern, das Twitter-Konto der Titanic wurde etwa zeitweise gesperrt. Viel Aufsehen, wenig Ertrag. Doch die alte und neue Große Koalition will am eingeschlagenen Kurs festhalten: Das NetzDG wäre ein „richtiger und wichtiger“ Schritt, und bevor man es anpasst, wollen die Parteien zunächst auf die Löschquoten warten, die die betroffenen Unternehmen in den halbjährlichen Berichten veröffentlichen müssen. Bei der Weiterentwicklung ist dann „freiwillige Selbstregulierung“ das einzige Stichwort, was bereits darauf hindeutet, dass es weiterhin die Tech-Konzerne sein sollen, die die Meinungsfreiheit im Netz regulieren.

Urheberrecht: Keine Upload-Filter, dafür Leistungsschutzrecht

Welche Maßnahmen künftig Plattformen wie Facebook und YouTube ergreifen müssen, um die Rechte am geistigem Eigentum zu schützen, ist aktuell genauso umstritten wie die Beteiligung der Rechteinhaber an den Erlösen, die die Plattformen mit fremden Inhalten generieren. Verhandelt werden diese Fragen momentan auf EU-Ebene bei der Urheberrechtsreform, die in den kommenden Wochen beschlossen werden soll. Die neue Koalition hat sich in einigen Punkten nun selbst positioniert. Abgelehnt werden demnach Upload-Filter. Wäre der Einsatz verpflichtend, müssten die Unternehmen Filter-Programme einbauen, die jeden Upload der Nutzer nach urheberrechtlich geschützten Inhalten scannen. Kritiker wie Netzaktivisten lehnen das ab, es wäre der Anfang einer Zensurinfrastruktur, lautet der Vorwurf. Soweit gehen CDU/CSU und SPD nun nicht, sie bezeichnen Upload-Filter schlicht als „unverhältnismäßig“.

Was aber bleibt, ist das Leistungsschutzrecht. In Deutschland ist das Gesetz weitestgehend gescheitert, die Google-Steuer funktioniert in der Praxis schlicht nicht. Nun will man einen erneuten Anlauf auf EU-Ebene. Der Haken ist nur: In Deutschland läuft das Gesetz nicht nur wegen der Marktmacht von Google ins Leere, sondern auch wegen handwerklichen Fehlern. Hinzu kommt ein strukturelles Dilemma: Man kann selbst Firmen wie Google nicht zwingen, bestimmte Inhalte – beim Leistungsschutzrecht sind es Anreißer-Texte von Artikeln der Verlagsportale – so einzubinden, dass Gebühren fällig sind. Und wenn Google auch auf europäischer Ebene im Zweifel lieber keine Inhalte der Verlage in den Suchergebnissen listet als Gebühren zu bezahlen, droht auch dieser Version des Leistungsschutzrechts ein unrühmliches Ende. Die Kleinen müssen bezahlen, die Großen kommen davon.

Überwachung: Kein Wort für die Vorratsdatenspeicherung

Was bei den Überwachungsvorhaben erstaunt, ist zunächst einmal, dass ein Thema mit keiner Silbe erwähnt wird: Die Vorratsdatenspeicherung. Dabei kündigt sich Handlungsbedarf an, das Bundesverfassungsgericht entscheidet bald über das Gesetz und wird es aller Wahrscheinlichkeit nach begraben. Die Koalitionsverhandlungen wären also ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, um über Alternativen nachzudenken. Auf EU-Ebene laufen solche Gespräche bereits. Doch hier verweigert sich die Koalition.

Stattdessen umfasst der Koalitionsvertrag das Erwartbare. Video-Überwachung will man ausbauen und „technisch verbessern“, die Terror-Abwehr bundesweit koordinieren und innerhalb von Europa soll eine einheitliche Sicherheitsarchitektur entstehen. Ebenso gibt es ein Bekenntnis zum Staatstrojaner. Überwachbar sein sollen eben nicht nur SMS, sondern auch Messenger-Dienste wie WhatsApp – trotz des problematischen Umgangs mit Sicherheitslücken. Widersprüchlich, denn im Abschnitt über IT-Sicherheit fordern die Koalitionäre nicht nur, dass Hersteller eine Sicherheitslücke schnellstmöglich melden und beheben müssen. Sondern wollen darüber hinaus sogar noch „klare Regelungen für die Produkthaftung in der digitalen Welt aufstellen“.

Was sich also erneut nicht erkennen lässt, ist ein konsistenter Entwurf für eine moderne Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, der Widersprüche und Dilemmata – wie etwa beim Umgang mit Sicherheitslücken – direkt adressiert. Eine Politik, die Behörden auf der einen Seite zwar die benötigten Instrumente in die Hand gibt, gleichzeitig aber auch die Privatsphäre der Allgemeinheit beachtet und im Einklang mit den Grundrechten steht. Stattdessen droht das altbekannte Wechselspiel: Die Regierung beschließt ein Gesetz, das landet vor dem Bundesverfassungsgericht, wird eingedampft, nächster Anlauf. Hier wurde eine Chance vertan.

Breitbandausbau: Rechtsanspruch auf Glasfaser – irgendwann

Wesentlich ambitionierter lesen sich indes die Pläne für den Breitbandausbau, die bereits seit dem Wochenende kursieren. Bis 2025 soll demnach in Deutschland ein Gigabit-Netz flächendeckend verfügbar sein. „Glasfaser in jeder Region und jeder Gemeinde, möglichst direkt bis zum Haus“, so lautet das neue Ziel. Dafür wollen die Parteien nochmals 10 bis 12 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Geschlossen werden sollen zudem noch die Lücken bei der Mobilfunk-Abdeckung und beim 5G-Ausbau soll Deutschland technologischer Vorreiter sein.

Klingt gut, Branchenverbände registrieren die Pläne wohlwollend, ist im Großen und Ganzen aber nicht neu. Denn im Kern entspricht es dem Stand vom Treffen der Netzallianz im März 2017. Die Netzallianz ist das Forum, bei dem sich das für die digitale Infrastruktur zuständige Verkehrsministerium mit Vertretern der Netzbetreiber trifft, um Fortschritt beim Breitbandausbau zu planen. Und ausgehend vom damaligen Stand bleiben angesichts des Koalitionsvertrags einige Fragen offen. So taxierten die Beteiligten damals den Investitionsbedarf auf insgesamt rund 100 Milliarden Euro, um bis 2025 eine gigabit-fähige Infrastruktur bundesweit aufzubauen. 4 Milliarden hat der Bund bereits über Förderprogramme bereitgestellt, die weiteren 10 bis 12 Milliarden Euro sind dann der Teile der Summe, die im März 2017 als notwendig veranschlagt wurden.

Zumal das Geld nicht aus dem allgemeinen Steuertopf stammt. Stattdessen will die neue Regierung die Erlöse aus Vergabe der UMTS- und 5G-Lizenzen zweckgebunden für den Glasfaserausbau verwenden. Somit wird das Geld der Unternehmen also praktisch umverteilt. Um weitere Anreize für private Investitionen zu schaffen, will man zudem an der Regulierung schrauben, indem man Open-Accress-Modelle fördert. In der Praxis heißt das, es soll mehr Kooperationen zwischen den Unternehmen geben. Eine Vorlage dafür liefert das gemeinsame Ausbauprojekt von der Deutschen Telekom und EWE in Norddeutschland. Es ist ein Ansatz, der in der Branche generell begrüßt wird.

Die Frage ist nur, ob das eben ausreicht oder ob nicht doch weitere Bundesgelder nötig wären. Diskutiert wurde etwa bei den Jamaika-Sondierungen im November, dass der Bund seine Anteile an der Deutschen Telekom verkaufen soll. Auf diese Weise könnte nochmals ein zweistelliger Milliarden-Betrag eingenommen werden, im Koalitionsvertrag ist davon aber keine Rede mehr.

Was indes vage bleibt, ist die Vergabe der Fördermittel. Künftig sollen diese nur für Ausbauabschnitte mit Glasfasertechnologie eingesetzt werden, was im Umkehrschluss aber heißt, dass damit auch der Vectoring-Ausbau unterstützt werden kann – immerhin werden bei dieser Technologie auch Glasfaserkabel bis zu den Verteilerkästen verlegt. So merkt dann auch der alternative Provider-Verband Breko kritisch an, dass ein „eindeutiges Bekenntnis zu reinen Glasfaseranschlüssen bis in alle Gebäude“ fehlt. Was ebenfalls nicht angesprochen wurde, sind die aktuellen Probleme beim Ausbau. Viele der bereits bewilligten Fördergelder wurden noch nicht abgerufen, außerdem mangelt es an Baufirmen.

Außergewöhnlich bleibt daher in erster Linie der Plan, ab 2025 einen Rechtsanspruch für Gigabit-Anschlüsse einzuführen. So eine Universaldienst-Regel ist in dieser Form neu. Wie genau das alles dann in der Praxis aussieht, lässt sich allerdings noch nicht sagen. Bis Mitte der Legislaturperiode will sich die Große Koalition noch Zeit lassen, um das Gesetz auszugestalten.

Algorithmen und Datenschutz: Kommission statt Ideen

Während die Pläne für den Breitbandausbau noch vergleichsweise konkret sind, wird es beim Datenschutz sowie Algorithmen und künstlichen Intelligenzen eher schwammig. Es sind zwar die großen Zukunftsthemen, die in den nächsten Jahren das Leben und das Wirtschaften noch massiver verändern werden, als es ohnehin schon der Fall ist. Doch Koalitionäre entwickeln noch keine politische Idee, die über die Forderung nach Transparenz hinausgeht. Die Lösung ist stattdessen eine Kommission. Konkret heißt es in dem Vertrag:

„Wir werden zeitnah eine Daten-Ethikkommission einsetzen, die Regierung und Parlament innerhalb eines Jahres einen Entwicklungsrahmen für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen vorschlägt.“

Ansonsten wird ein Verständnis von Datenschutz skizziert, das sich zwar an die europäischen Datenschutzreform sowie der E-Privacy-Verordnung anlehnt und etwa „Privacy by Design“ und „Privacy by Default“-Ansätze begrüßt. Gleichzeitig wird aber auch stetig betont, wie wichtig Daten als „Treibstoff für Innovationen und neue Dienste“ sind. Es ist also erneut der Zwiespalt zwischen Big-Data-Geschäftsmodellen auf der einen Seite und dem Datenschutz auf der anderen Seite, der thematisiert wird. Und die Forderung, dass abwägende Lösungen erforderlich wären. Es geht also um eine der Kernfragen in der digitalen Welt: Wie lässt sich die Privatsphäre im Zeitalter von Big Data schützen? Nur existiert dafür eigentlich mit der EU-Datenschutzreform eine Antwort, die bereits am 25. Mai in Kraft tritt.

So lässt sich zwischen den Zeilen immer wieder herauslesen, dass die Große Koalition mit der EU-Reform offenbar nicht allzu glücklich ist. Was insofern konsequent ist. Denn: Wie weit der politische Wille geht, sich von der EU-Reform abzusetzen, verrät allein schon der Umgang mit der Datenschutzreform in der letzten Legislaturperiode. Die EU-Verordnung selbst ist – bei dem Thema wenig überraschend – zwar langatmig und trocken, doch man erkennt jederzeit den politischen Willen und eine Vision für den Umgang mit persönlichen Daten im 21. Jahrhundert. Das Umsetzungsgesetz der Bundesregierung ist hingegen so zäh und verschachtelt, dass man nach 30 Minuten lesen den eigenen Namen vergisst. Ein Gesetz mit dem Charme eines bockigen Kindes, das beim Essen aus lauter Frust die Nudeln an die Wand feuert.

Der Koalitionsvertrag wäre nun etwa die Chance gewesen, aufbauend auf der EU-Datenschutzreform tatsächlich eine neue politische Idee zu entwickeln. Ansätze sind vorhanden. Das gilt etwa für eine überarbeitete Open-Data-Strategie sowie die Pläne für eine vereinfachte digitale Verwaltung. All das wäre geeignet, um etwa ein neues Verständnis für die digitale Identität der Bürger zu entwickeln. Doch die große Idee fehlt, wie so vieles bleiben die Ansätze nur Stückwerk. Ein Stückwerk, das im Gesamtkontext mal mehr, mal weniger gut zusammenpasst.

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